Thesenpapier September 2024
- Die These vom Tod des Faschismus ist falsch
Naivität ist nicht angebracht: Der Rückfall – nicht nur in rechtspopulistische Subkulturen – sondern in faschistische Machtstrukturen ist auch in Deutschland jederzeit möglich. Viele empirische Befragungen zeigen, dass entsprechende Wählerschichten ein faschistisches, intolerantes und gewalttätiges Menschenbild seit Jahrzehnten aufgebaut haben und sich jetzt wieder trauen, es öffentlich zu machen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass ein archaischer Hass gegen alles Fremde, gegen Veränderung, Komplexität und Transformation nie aufgehört hat zu existieren. Diese Hass- und Gewaltbereitschaft ist unabhängig von Bildung, Einkommen und Wohnort.
Das deutsche Grundgesetz kennt sog. „Ewigkeitsklauseln“. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit können demgemäß auch nicht durch Mehrheitsentscheidungen rückgängig gemacht werden. Das schützt aber nicht vor langsamer Aushöhlung oder gewaltsamer Demontage. Dass totalitäres Gedankengut gerade in der jungen Generation um sich greift, ist ein besonderes Alarmzeichen.
Politische Hassbereitschaft ist überall auf der Welt zu beobachten. Dass sie aber gerade auch in Deutschland wieder ungeniert gezeigt werden darf, ist unerträglich und lässt zwei Fragen stellen: 1. Hat die Mehrheit der Deutschen das Ausmaß der Barbarei, das von ihr ausging, wirklich begriffen (s. Mitscherlich „Die Unfähigkeit zu trauern“, 1967)?. 2. Hat die Weltgemeinschaft unter dem Eindruck des Kalten Krieges den Deutschen zu schnell vergeben?
- Die These vom kritischen Protestwähler ist falsch
Die aktuelle Diskussion um die Ursachen des Rechtsradikalismus ist zu flach und ungenügend. Dass mehr Geld für Soziales und für Bildung, dass ein Abbau von Bürokratie und Bevormundung Not tut und Gesellschaften friedlicher und toleranter macht, ist unstrittig. Konkrete Kritik an Politik und Verwaltung gibt es, seit es diese Einrichtungen gibt. Es ist aber eine fatale Fehleinschätzung, den weltweiten Rechtsradikalismus der letzten Jahre als entsprechende Protestbewegung zu bewerten.
In der Bonner und Berliner Republik Deutschlands gab es viele polarisierende Perioden (Ostverträge, Ölkrise, Bankenkrise), auch atomare Kriegsangst (Koreakrieg), die aber nicht dazu geführt haben, dass Menschen massenweise verfassungs- und demokratiefeindliche Parteien gewählt hätten.
Richtig ist, dass der Dialog zu gesprächsbereiten Kritikern der Demokratie nicht abgebrochen werden darf. Richtig ist aber auch, dass sich breite Schichten – auch innerhalb des bürgerlichen Lagers – von der Demokratie losgesagt haben. Sie verbergen ihre wahren Absichten und verhöhnen jeden Kompromiss. Das Wort „Kompromiss“ ist, wie vor 1945, wieder für viele zu einem Hasswort geworden.
- Die These von der Demokratiefähigkeit der rechten Demagogen ist falsch
Die Rädelsführer der Rechtspopulisten streuen bewusst falsche Fährten, um durch ständig neue Polemik das Koordinatensystem nach rechts zu verschieben. Manche Kampfthemen sind bereits fast in Vergessenheit geraten (Euro-Währung, Covid-Impfzwang), andere werden weiter geschürt (Migration, Europa).Man will nicht Lösungen, sondern einen anderen Staat. Der Rechtsruck hat nicht mehr den Charakter einer politischen Debatte, sondern den einer Massenpsychose. Was demokratischen Parteien empört vorgeworfen wird, wird bei reaktionären Parteien kritiklos gefeiert. Das Ziel der Rechtspopulisten ist die Abschaffung der Demokratie. Sie nutzen dazu nach eigener Aussage die Möglichkeiten, die ihnen der demokratische Staat bietet.
Empathie für das – historische wie aktuelle – Leid von Millionen von Menschen ist vielen verloren gegangen.
Viele Diskussionen ergehen sich in Allgemeinplätzen. Der Rechtsextremismus wird aber von konkreten namhaften und Gruppen (im In- und Ausland) angeheizt und instrumentalisiert. Diese Flechtwerke werden nicht genügend benannt. Vor allem im privaten Umfeld kommen die Täter ungeschoren davon. Die meisten privaten und öffentlichen Gruppen scheuen sich davor, ihre faschistischen Anteile zu benennen und zu enttarnen.
Konsequenzen
Klarer Widerstand statt offener oder klammheimlicher Kollaboration
Schulterschluss der Demokraten statt gegenseitiger Schuldzuweisung
Verbesserung demokratischer Prozesse statt Apathie und Lethargie
Diskussion um einen neuen Humanismus statt satte Wertevergessenheit
Verpönung von Dekadenz und Gewaltverherrlichung statt Vertrottelung der Gesellschaft
Konsequent Sozial-ökologische Marktwirtschaft statt Turbo-Kapitalismus
Politische Bildung durch demokratischen Parteien statt Stimmvieh-Mentalität
Enttabuisierung des Parteienverbots statt verlogenem Opportunismus